Junge Wissenschaftler*innen und Nobelpreisträger*innen auf der Lindauer Tagung: Klimakrise ist die Hauptsorge der Menschheit

72. Lindauer Tagung der Nobelpreisträger*innen

Von Daniel Koch, Postdoc am MPI für Neurobiologie des Verhaltens - caesar, Bonn

Jedes Jahr treffen sich mehrere Dutzend Nobelpreisträger*innen und einige hundert der vielversprechendsten Nachwuchswissenschaftler*innen ihres Fachs am bayerischen Bodensee auf der kleinen Insel Lindau. Ein bezaubernder Ort mit kleinen Gassen, die zum Flanieren einladen, schöner Architektur und einem atemberaubenden Blick auf die Alpen im Hintergrund. Die einzigartige Atmosphäre dieses Ortes lädt zu anregenden Diskussionen ein, in denen die besten Wissenschaftler*innen aus aller Welt nach Lösungen suchen und Ideen austauschen, wie man die großen Themen und Fragen in Wissenschaft und Gesellschaft angehen kann - ganz nach dem Motto "educate, inspire, connect". Keine Frage, dass ich mich sehr geehrt fühlte und vor Aufregung überwältigt war, als ich die Einladung zu diesem außergewöhnlichen Treffen erhielt.

Was aber sind die größten Probleme unserer Zeit? Nicht, dass es an Problemen mangeln würde. Ganz im Gegenteil - der Ausbruch des Ukraine-Kriegs und anderer schwelender Konflikte, die Gefahr weiterer Pandemien, die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen und eine Klimakrise, die außer Kontrolle zu geraten beginnt, machen es schwer zu entscheiden, worauf wir unsere begrenzte Aufmerksamkeit richten sollen. 

Als ich im Zug nach Lindau saß, fragte ich mich, was die Teilnehmer*innen der Tagung in Lindau, von denen die meisten viel klüger sind als ich, über diese Frage denken würden. Obwohl ich ein wenig befürchtete, mit der Frage auf Ablehnung zu stossen,  beschloss ich, der Sache auf den Grund zu gehen. "Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung oder Bedrohung für die Menschheit in den nächsten 100 Jahren?" fragte ich fast jeden, mit dem ich zufällig ein Gespräch führte. Tatsächlich stellte sich sogar heraus, dass Viele sehr erfreut über die Gesprächsgelegenheit waren. Hier sind die Ergebnisse der Umfrage:

Unter den 101 jungen Wissenschaftler*innen, die ich befragte, war die Klimakrise (mit großem Abstand) die größte Sorge, gefolgt von künstlicher Intelligenz und ihren Anwendungen sowie Kriege und Konflikte. In einigen der längeren Diskussionen über die Klimakrise begannen sich viele meiner Kollegen (mich eingeschlossen) zu fragen, ob ihre Bemühungen, z. B. neue Therapien zu finden, tatsächlich noch einen positiven Einfluss entfalten können. Die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in neue Therapien dauert oft Jahrzehnte - ein Zeitraum, in dem die Klimakrise bereits einen erheblichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben wird. Wenn wir keine sinnvollen Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, könnte sich unsere Gesundheit weltweit trotz des wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts sogar verschlechtern.

Die dutzend Nobelpreisträger*innen, mit denen ich gesprochen habe, zeichneten ein ähnliches Bild. Obwohl sie im Allgemeinen weniger besorgt über die Gefahren der künstlichen Intelligenz waren, stand die Klimakrise auch bei ihnen ganz oben auf der Liste, und die meisten der Preisträger, mit denen ich sprach, befürworteten dringende und ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen.

Obwohl die diesjährige Lindauer Tagung der Medizin und Physiologie gewidmet war, wurden die verschiedenen Arten, in denen die Klimakrise unserer Gesundheit schadet, und die Frage, wie wir als Wissenschaftler*innen zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen können, auch bei der Podiumsdiskussion über den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Gesundheit angesprochen (www.mediatheque.lindau-nobel.org/recordings/41080). Der vielleicht wichtigste Punkt, der in dieser Diskussion angesprochen wurde, ist jedoch, dass weniger Diskussionen brauchen, sondern Umsetzung. Ein Punkt, der auch von Nobelpreisträger Jacques Dubochet (www.mediatheque.lindau-nobel.org/recordings/41068) angesprochen wurde, der sich den GrandparentsForFuture anschloss, um auf die dringende Notwendigkeit hinzuweisen, die globale Erwärmung anzugehen.

Die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen wird jedoch immer noch verhindert und verzögert, vor allem durch Politiker, die entweder den Ernst der Lage nicht verstehen (oder nicht verstehen wollen) oder ihre finanziellen Eigeninteressen über die Interessen ihrer Kinder, ihres Landes und des Planeten stellen. Wissenschaftler*innen warnen schon seit Jahrzehnten öffentlich vor den Gefahren des Klimawandels, dessen Auswirkungen wir allmählich zu spüren bekommen. Ihre Warnungen stießen und stoßen immer noch auf verblüffende Ignoranz. Aber auch wir als Wissenschaftler*innen sind nicht machtlos und können zum Übergang in eine nachhaltigere Zukunft beitragen - selbst wenn unsere Forschung nichts mit Klima oder Energie zu tun hat. Wie? Hier sind einige Vorschläge:

  • Organisiert euch! Das ist vielleicht das Wichtigste, was ihr tun könnt, denn nur wenn sich genügend Menschen zusammentun, kann ein sinnvoller Wandel herbeigeführt werden. Schließt euch einer Partei an, einer Klimagruppe oder, wenn ihr Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft seid, tretet unserem Nachhaltigkeitsnetzwerk und der lokalen Nachhaltigkeitsgruppe an eurem Institut bei (...duh!). Andernfalls gibt es vielleicht ähnliche Gruppen an eurer Universität. Wenn nicht, sucht euch ein paar Gleichgesinnte und gründet eine!
  • Wenn ihr ein Labor habt und in den Biowissenschaften arbeitet, gibt es oft viele Möglichkeiten, Abfall und Energieverbrauch zu reduzieren (wie etwa die Umstellung von ULT-Gefrierschränken von -80 auf -70 °C). Weitere Informationen gibt es z. B. unterwww.mygreenlab.org.
  • Erkundigt euch, in was eure Rentenfonds investiert sind und setzt euch, wenn möglich, für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen an eurer Einrichtung ein (see for example www.sustainvbl.de)
  • Fragt, ob an eurer Universität/Institut PV-Anlagen installiert werden können.
  • Fordert Verlage wie Elsevier dazu auf, keine Dienstleistungen mehr für die fossile Brennstoffindustrie zu erbringen.

Einfach mal anfangen und wenn ein Punkt abgehakt ist – auf zum nächsten Punkt! ;-)
 

 

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